12 Hoffnungslos sentimentaler Aufheberich, der ich bin, fiel mir unlängst ein Dokument recht früher Einsicht in eine gewisse Schieflage des, nennen wir es Bildungsinteres- sensausgleichs, in die Hände. Bei dem wohl verwahrten Fundstück handelte es sich um ein Exemplar einer Aufsatzsammlung aus meiner damaligen 5. Klasse. Vermutlich, um einander besser kennenzulernen, musste jeder aus der neu gebildeten Klassengemein- schaft hierfür unter anderem einen auf sich bezogenen Aufsatz unter dem Titel „Ein ganz normaler Mittwoch“ abfassen.Mein Aufsatz beinhaltete die Sentenz:„In der 5.und 6. Stunde haben wir Musik. Das ist langweilig und sinnlos. Ich glaube nicht, dass ich in meinem späteren Leben die Geschichte des Rock’n’Roll brauchen werde.“ Nun gut, über manches darf man mal was gehört haben, vieles sollte man gar lernen. Dennoch zieht es sich wie ein roter Faden durch die ganze Schul- und Studienzeit, dass zu viel Zeit, die man so hübsch in die Bildung auf den eigenen Interessensgebieten in- vestieren könnte, für Irrelevantes verplempert werden muss. So war das zu meiner Zeit, und jetzt ist es noch viel schlimmer.Ich konnte nach der 12.sogar noch Mathe abwählen. Etwa zeitgleich mit der Einführung des für sich schon grundbescheuerten Zentralabiturs wurde dann aber das Kurs- und Prüfungskurs-Wahlsystem scharf durchreglementiert. Warum auch nicht dem volljährigen Schüler mit der Matheprüfung hinten raus noch schnell den Traum vom Medizinstudium zerschroten? Oder die Pläne für die Physik- professur in Schutt und Asche legen, weil der Prüfling keinen Zugang zur Interpretation literarischer Texte finden kann? Es heißt ja immerhin allgemeine Hochschulreife, da geht es natürlich nicht, dass jemand, der aus intellektuellem Desinteresse nach der Zwölften Mathe abgewählt hat, im Prinzip dasselbe Recht hat, sich für ein Informatikstudium einzuschreiben, wie einer aus dem Mathe-Leistungskurs. Einem Fünftklässler mag man die Unterscheidung zwischen belangreich und belanglos zumeist berechtigterweise noch nicht selbst überlassen.Wenn aber selbst den Abiturien- ten nicht zugetraut wird,dass sie befähigt zu einer wenigstens annähernd passenden Stu- dienwahl sind, warum schickt man sie denn dann trotzdem hinaus in die Weltgeschich- te? Und wäre nicht auch ein Gedanke daran angebracht,wie es überhaupt sein kann,dass volle dreizehn Jahre im schulischen System noch nicht einmal zu einer ausreichenden Erkenntnis über sachgebietsbezogene Begabungen und Interessen führen? DasKultusministeriumzähltrunter: G 9 - G 8 - geh unter! Glosse zum Beginn des neuen Schuljahres von der Autorin selbst Foto:EvelynMerz/pixelio.de